Dienstag, 3. Juli 2012

Tag 24: Regenfahrt zurück

Am Sarnersee gewitterte es bereits am morgen früh. Auch der Regen wollte nicht aufhören. Ich musste das Zelt im Regen zusammenpacken. Aufzuhören zu regnen hat es dann erst etwa in Sursee. Aber da war ich bereits durchnässt; von innen und von aussen. Zudem machte ich den Fehler, dem dreckigen Feldweg zu folgen. Ohne "richtige" Schutzbleche ist das keine allzu gute Idee. Der Pflotsch und Dreck spritzt überall hin, auch auf das Gepäck. Meine selbstgebastelten Schutzblech-Erweiterungen aus einer zwei halben Evian-Flaschen kamen zum ersten Mal zum Einsatz. Trotzdem wurde alles dreckig und nass. Ich war froh, das nasse Zelt nicht erneut aufstellen zu müssen und nicht nasse gegen feuchte Kleider zu tauschen.

Nach knapp vier Stunden Regenfahrt ging die letzte Etappe und damit meine Tour-de-Suisse zu Ende. Weitere Projekte schwirren bereits in meinem Kopf herum: von Bergen nach Chiasso (Nord-Süd) oder von Samnaun nach Genf (Ost-West), Dres Balmers "Querpass" nachfahren. Oder etwas grösser: Nordseeküsten-Radweg, Quer durch die USA, ...

Spritzschutz aus einer Evian-Flasche gebastelt

Schutzblech-Erweiterung vorne

Trotzdem wurde alles ziemlich dreckig und nass


Sonst war das Wetter schön, wie an meinem Radfahrer-Bein unschwer zu erkennen ist.

Nun kann sich der Finger wieder parallelisieren:
Radfahrer-Finger - durch andauernden Druck auf die Handnerven kriegt man temporär den kleiner Finger nicht mehr parallel zu den anderen. Auch die Fingerfertigkeit und die Kraft in den Händen fehlt.

Tag 23: Eindrücke vom Schwing- und Älplerfest

Was könnte besser passen zu einer Schweiz-Umrundung als ein Schwingfest zu besuchen. Der Zufall wollte es, dass in Sarnen das diesjährige Innerschweizer Schwing- und Älplerfest statt fand. Trotz miserabler Wetterprognosen für diesen Sonntag und den darauffolgenden Montag beschloss ich, meine Reise noch um einen Tag zu verlängern. (Der Sonntag morgen wäre noch trocken gewesen, um das letzte Stück Strassse unter die Räder zu nehmen. Danach regnete es quasi ununterbrochen bis ich pflotschnass zu Hause ankam.)

Ein Schwingfest sollte jeder Schweizer einmal besucht haben: So friedlich, so langweilig, so urchig.

Friedlich deshalb, weil es keine Eingangskontrollen, keine Taschenkontrollen und keine grimmigen Security-Leute gibt. In den ersten Gängen wurde mein Stehplatz-Ticket noch kontrolliert. Bei den beiden letzten Gängen und beim Schlussgang wurde nicht mehr kontrolliert. Vermutlich kapitulierten die bedauernswerten Ticketkontrolleuere vor dem Regen. Es gibt vier Ticketkategorien. Die gedeckten und ungedeckten Tribünenplätze, sowie die Rasensitzplätze waren ausverkauft. Mit der vierten Kategorie "Stehplatz" kann man sich nur zwei Meter neben einen der Sägemehlringe auf ein Holzbrett setzen und das geschehen hautnah verfolgen. Ab und zu kriegt man ein wenig Sägemehl ab und man muss aufpassen, dass man von keinem "Bösen" überrollt wird. Setzt Regen ein, setzt man sich einfach auf die Tribünentreppe ins trockene. Man stelle sich vor, wenn man dies im Joggeli machen würde.

Langweilig deshalb, weil man sieben Kämpfe gleichzeitig verfolgen "muss" und nicht recht weiss, wer da gerade wen über's Knie bugsiert. Eine Videoleinwand sucht man vergebens. Digitalanzeigen auch. Das einzige was es gibt, sind manuell bediente und gedrehte Tafeln, auf denen die Startnummern der Schwinger steht: eine rote Zahl und eine schwarze Zahl. Welcher Nummern zu wem gehört, wusste ich nicht. Die Athleten tragen keine Startnummern. Später fand ich heraus, dass der alphabetisch Erstere immer die helle Schwingerhosen trägt, der letztere die dunklere. Zwischenstände weiss der Schwingfest-Neuling auch nicht. Im Internet sucht man vergebens nach einem Live-Ticker oder -Resultate. Diese kann man nach jedem Gang für einen Franken käuflich erwerben.

Urchig deshalb, weil währenddem die Schwinger "an der Arbeit sind" (dies kommentierte der Platzspeaker tatsächlich so), die Lebendpreise demonstriert werden, das lokale Jodlerchörli ein Lied zum besten gibt und morgens schon Wurst und Bier konsumiert wird. Zudem wird man ständig von Ländlermusik berieselt. Während dem die Lebendpreise - der Hauptpreis war der Stier "Rocki" - zwei Runden in der Arena drehen mussten, las der Speaker die Leistungsdaten und den Stammbaum des Zuchtbullen vor. Dass der Stier einmal nur wenige Meter von an boden hockenden Kindern entfernt aufbockte, schien niemanden zu stören. Mehrmals musste der Züchter kräftig am Nasenring ziehen, damit das Tier im Wert eines Mittelklasse-Wagens weiterlief.

Er hier stand schon gestern für Didier Cuche auf der Aelggialp im Einsatz.

Hauptpreis ist der Stier "Rocki"

Zwei von drei Wettkampf-Richtern und die "Täfelibuäbä"

Die besten Werfen den 67-kg-Stein über vier Meter weit. Einige kriegten ihn kaum hoch.



Mach jetzt bloss keinen Scheiss...

Die Vierfrucht-Pellerinen sind zahlreich

Tag 22: Zum oder im Mittelpunkt der Schweiz(er)

Das Ziel heute war die Aelggialp, wo sich der geographische Mittelpunkt (Flächenschwerpunkt) der Schweiz befindent. Die Freude war gross, als ich das folgendes Schild entdeckte:


Nur blöd, dass es bereits halb zehn war, das Schild in Sachseln stand und die Aelggialp mehr als 1100 Meter Höhenmeter oberhalb liegt. Das schafft nur Bergfloh Beat Breu. Mit meiner Steigrate - ohne Gepäck - von 12 m/min würde das also knapp werden.

Apropros Beat Breu, ein Video möchte ich euch nicht vorenthalten:


Ich war nicht allein. Andere Biker nahmen ebenfalls den steilen und schmalen Weg auf sich. Links erhebt sich eine Felswand und rechts geht's recht krass den Wald hinunter. Immer wenn eine Autokarawane sich von hinten näherte, wechselte ich die Strassenseite, um auf der sicheren Strassenseite auszuklinken und die Autos durchzulassen. Zu Beginn verfluchte ich den regen Verkehr. Warum musste ich bloss ausgerechnet an jenem Tag auf die Aelggialp fahren. Doch bald war ich froh um die zahlreichen Pausen zum verschnaufen und einen, zwei, drei Schluck Wasser zu trinken.

Es hatte jedoch einen Grund, weshalb immer noch so viele Vierräder hochfuhren. Oben angekommen war bald klar, dass der offizielle Festakt mit Ehrung und Laudatio für den Schweizer des Jahres noch bevorstand. So blieb mir noch genug Zeit, einen Liter Wasser aufs Mal zu trinken - die 1.8 Liter aus Sarnen gingen beim Aufstieg in den Magen - und gemütlich zum symbolischen Mittelpunkt zu spazieren.

Das Wetter war fantastisch. Keine Wolke in Sicht. Auch vom für den Nachmittag vorausgesagten Gewitter noch keine Spur. Entsprechend viele Leute versammelten sich. Bei der Ehrung von Lotti Latrous 2004 habe es fast geschneit, meinte etwa ein Vertreter vom lokalen Steinmannli-Klub. Im Mittelpunkt der Schweiz(er) stand heute kein geringerer als Didier Cuche. Nachdem Gian Gilli, dem ehemaligen Chef Leistungssport von Swiss Ski, in seiner überlangen Laudatio nochmals auf den fehlenden Olympiasieg Cuches hinwies, und ein paar Anektoden zum besten gab (Cuche: "Wir brauchen neue Skianzüge. Die alten sind wie Pyjamas."), wurde endlich der Stein enthüllt mit seinem Namen drauf. Vom Stein habe ich kein Foto. Es hatte schlicht zu viele Leute. Und alle wollten etwas von Didier:
Didier im Mittelpunkt der Schweiz(er)
Ich schlich mich davon, machte noch ein paar Fotos von der grössten Alp Sachselns und ass eine grosse Portion Älplermaggronen. 
Zahlreiche Augen und Linsen waren auf den Ski-Star gerichtet. 
Der Ski-Klub Flüeli-Ranft stand Spalier.
Viel Folklore gehört zu einem solchen Anlass. 
Aelggialp auf 1650 Meter über Meer. Der eigentlich richtige Mittelpunkt der Schweiz liegt schwer zugänglich in den Felsen links.
Für den Weg runter investierte ich erst nochmals gut 200 Höhenmeter an Höhe, um via das Sachsler Seefeld ins Kleine Melchtal zu gelangen. Dort war es lange wenig steil. Danach ging's aber krass runter: 15% und mehr über längere Zeit. Das überlebte mein hinterer Bremsbelag nicht. Unten in Kaiserstuhl am Lungernsee angekommen hatte ich nur noch die Vorderbremse zur Verfügung.

Tag 21: Richtung Mittelpunkt

Es war wieder einer dieser lauen Sommernächte, in denen ich ein Super-Feature meines Zeltes einsetzen durfte: nur durch ein Moskito-Netz getrennt den Sternenhimmel schlafen. Die Sterne selbst erkenne ich mit meinen -5.5 Dioptrien zwar nicht, aber es ist trotzdem wunderbar, so einschlafen zu dürfen. Überhaupt schlafe ich sehr gut auf der schmalen Term-A-Rest Aufblas-Matte. Nur die Anzahl Einschlafpositionen ist stark limitiert und gegen morgen wird es schon ein wenig hart. Einmal schmerzte mir auch die Hüfte, weil ich zu lange auf der Seite gelegen haben muss und sich Druckstellen entwickelten.

Ausgeschlafen packte ich meine Sieben-Sachen und fuhr in klarer Morgenluft dem Walensee entlang Richtung Glarner-Land mit dem Ziel Netstal, wo der Pragelpass beginnt und einem durch das traumhafte Klöntal führt. Ein entgegenkommender Wanderer sagte zu mir, ich solle nicht zu schnell fahren, sonst ginge es viel zu schnell vorbei.

Klöntaler See bei Seerüti, Blick Richtung Osten
Klöntaler See bei Vorauen, Blick Richtung Osten
Das Mini-Stativ kam auch auf dem Pragelpass zum Einsatz - diesmal ist das Passchild mit auf drauf.

Die Abfahrt hinunter nach Muotathal ist nicht so toll. Ständig ist geht es sehr steil runter (15%) und man ist ständig in Intervallen am Bremsen. Auf dem schmalen und verwinkelten Strässchen durch den Wald sieht man nicht viel, auch entgegenkommende Autos nicht oder erst sehr spät. Deshalb muss man immer auf der Hut sein, sehr aufmerksam und angepasst fahren. Unten angekommen tun einem dann die Arme weh und die Hände brauchen erst mal ein wenig Erholung. Wenn es immer so wäre, würde ich wohl lieber aufwärts als abwärts fahren. In Intervallen bremsen deshalb, damit die Bremsen nicht überhitzen. Warm wurden die Bremsen trotzdem und brauchten etwas Kühlung (Ton einschalten):


Ab Muotalhtal bis nach Brunnen verliert man auch noch Höhe, allerdings nicht mehr viel aufs Mal und  man hat des Radfahrers grössten Feind gegen sich: den Gegenwind (Bei Steigungen weiss man wenigstens, weshalb es nicht schneller geht, und im Normalfall wird es anschliessend kompensiert). Typischerweise bläst einem der Talwind an schönen Sommertagen wie diesem talabwärts ins Gesicht. Das Wallis hinauf durfte ich davon profitieren.


In Brunnen ging ich in den Kiosk-Laden beim Schiffsteg und kaufte mir zwei Glacen und ass den Nussgipfel, der vom Zmorge noch übrig blieb. Kein ungewöhnlicher Zmittag in diesen Tagen. Auf dem Schiff entspannte ich mich mit klassischer Musik in und angenehmen Wind um die Ohren bis nach Beckenried. Von dort fuhr ich über die kleine Anhöhe bei Ennetmoos bis nach Sarnen, wo gerade die letzten Vorbereitungen für das Innerschweizerische Schwing- und Älplerfest stattfanden.


Vierwaldstättersee-Panorma zwischen Beckenried und Buochs

Montag, 2. Juli 2012

9. Juni - 2. Juli: einmal rundherum, in die Mitte und zurück

Inzwischen bin ich wieder zu Hause, das Zelt ist bald trocken und ich auch nachdem es nun 24 Stunden ununterbrochen regnete.

Hier ein Gesamt-Bild der zurückgelegten Strecke (die Berichte folgen später...):
Die farbigen Abschnitte entsprechen den Etappen (ausser beim Mittelpunkt der Schweiz).

  • Start und Ziel: Aarau AG
  • Etappen-Orte: Flüelen UR, Disentis GR, Chur GR, Altenrhein SG, Langwiesen SH, Möhlin AG, St-Ursanne JU, Fleurier NE, Rolle VD, Villeneuve/Montreux VD, Brig VS, Locarno TI, Sorico (I), Zernez GR, Murg SG, Sarnen OW
  • Kantone: alle ausser Zug und die beiden Appenzell; dazu Liechtenstein, Vorarlberg (A), Baden-Würtenberg (D), Elsass (F), Lombardei (I)
  • Pässe: Oberalppass 2046, Challpass 790, Col de la Croix 789, Mont Soleil 1248, Col de Marchairuz 1447, Simplonpass 2006, Passo del Monte Ceneri 557, Malojapass 1815, Flüelapass 2383, Pragelpass 1550, Älggialp 1638
  • Radtage: 18
  • Ruhetage: 6
  • Distanz: 1740 km
  • Fahrdauer: 92 h
  • Schnitt: 19 km/h
  • Höhenmeter: 20'000 m
  • Wetter: mehrheitlich schön und warm; die ersten par Tage kühler und weniger sonnig, aber angenehm; ab Möhlin sommerlich warm bis und mit gestern Sonntag

2. Juli: Sarnen - Aarau


  • Start: Sarnen OW, 470 M.ü.M.
  • Ziel: Aarau AG, 384 M.ü.M.
  • Route: Sarnen, Alpnach, Luzern, Emmen, Neuenkirch, Sempach, Sursee, Triengen, Schöftland, Entfelden, Aarau
  • Distanz: 76 km
  • Fahrdauer: 3:27h
  • Schnitt: 22 km/h
  • Maximal-Geschw.: 38 km/h
  • Höhenmeter: 400 Hm
  • Wetter: Regen :-(

30. Juni: Sarnen - Mittelpunkt der Schweiz - Sarnen


  • Start und Ziel: Sarnen OW, 470 M.ü.M.
  • Route: Sarnen, Sachseln, Edisried, Älggialap (Mittelpunkt der Schweiz); Sachsler Seefeld, Kleines Melchtal, Kaiserstuhl, Giswil, Sarnen
  • Distanz: 42 km
  • Fahrdauer: 3:10h
  • Schnitt: 13 km/h
  • Maximal-Geschw.: 51 km/h
  • Höhenmeter: 1360 Hm
  • Wetter: ein weiterer Hochsommertag, dank der Höhe nicht so warm vorgekommen (dafür war's steil)